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2x Masters-WM-Gold für Ferri – der Versuch (s)einer persönlichen Erklärung

17. August 2021

 

Seit letzter Woche steht fest: Unser Ferri ist der erfolgreichste Seniorensportler in der österreichischen Orientierungslauf-Geschichte. Noch nie gab es einen Senioren-Weltmeister aus unserem Land. Ferri hat bei den World Masters Orienteering Championships 2021 (WMOC) in Ungarn gleich zweimal Gold gewonnen, Zunächst im Sprint, dann zum Abschluss auch über die Langdistanz.

„Wie geht das?“ fragen sich viele. Hier unternimmt Ferri den Versuch einer persönlichen Erklärung: Nach den vielen Gratulationen zu meinen erfolgreichen Läufen bei der WMOC in Ungarn und auch vielen Aussagen wie: „Hut ab, wie machst du das nur?“, versuche ich durch eine kleine Analyse meiner WMOC eine Antwort darauf zu finden.

Was ist eine WMOC?
Eine WMOC = „Senioren-WM“ für alle über 35-Jährigen ist einer der drei weltweit ausgetragenen Bewerbe der IOF (neben WOC = Elite-WM ohne Alterseinschränkung und JWOC = Juniors-WM bis 20 Jahre) mit dem großen Unterschied, dass es bei einer WMOC keine Teilnahmebeschränkungen und daher keine Selektion je Nation gibt. Das M in WMOC steht für Masters, der englische Ausdruck für „Seniorensportler“, da ja im Englischen alle Läufer*innen über den „Juniors“ die „Seniors“ sind, die wir wiederum oft auch als „Elite-Runners“ bezeichnen – alles klar?

Vor COVID gab es bei einer WMOC ca. 4000 Starter*innen, vergleichbar mit einem großen Mehrtages-OL. Heuer ist Ungarn recht kurzfristig als Veranstalter eingesprungen, da die ursprünglich geplanten Masters Games in Japan, wegen COVID und Olympiade nicht stattfinden konnten – das Teilnehmerfeld war dadurch mit 1500 kleiner als „üblich“. Das Starterfeld ist sehr bunt gemischt, von reinen Hobbyläufer*innen bis zu ehemaligen Weltklasse-Athlet*innen, die aber oft erst ab 40 „einstiegen“, da viele mit 35 noch zur richtigen Weltspitze zählen. (Heuer war z.B. in H40 mit dem Norweger Øystein Kvall Østerbo ein mehrfacher WOC-Medaillengewinner am Start)

Durch das große Starterfeld gibt es bei der WMOC Qualifikationsläufe, die über die Teilnahme im Finale entscheiden. Je nach Anzahl der Läufer*innen in einer Kategorie gibt es mehrere Finalläufe. (A, B, C, …) Seit Einführung von Sprint- und Mitteldistanz gibt es einen Qualifikationslauf für den Sprint und einen für die Bewerbe im Wald (Mittel und Lang) – in Summe also 5 Bewerbe in einer Woche.

Wer kann gewinnen?

Alle! Zumindest alle, die körperlich und geistig lange genug fit bleiben, dass sie die Anreise und dann die Qualifikationsläufe und das Finale ohne Verstempeln bewältigen und dabei alt genug sind in einer Kategorie starten zu können, wo es nur mehr eine*n Teilnehmer*in gibt – in Ungarn waren das die Kategorien W90, W95 und M95 – bewundernswert wie fit und aktiv z.B. der 95-jährige Schweizer in Ungarn war. (siehe sein interview hier: https://youtu.be/S7lPNrW-lDM). In allen anderen Kategorien, gehört aber mehr dazu – da gerade die „Oldies“ ja sehr oft sehr ehrgeizig sind….

Wann begann meine WMOC-Geschichte?

Nachdem ich meine aktive OL-Leistungssportkarriere nach fünf Teilnahmen an „richtigen“ Weltmeisterschaften mit 29 Jahren im Jahr 1995 beendet hatte, bin ich als 38-jähriger im Jahr 2004 in Italien in Asiago bei meiner ersten WMOC gestartet – und wurde 23. Nach weiteren Teilnahmen in AUT, POR, HUN, NZL und DEN hatte ich vor der heurigen WMOC einen 7. und 8. Platz in Neuseeland als bisher beste Ergebnisse vorzuweisen.  

Einige Gründe, wieso ich heuer in Ungarn 2 x ganz vorne war:

Alter und Gesundheit:
Ich habe offensichtlich eine sehr gute „Erbmasse“ und sicher auch das Glück, dass ich auch nach meiner Leistungssport-Zeit immer sportlich aktiv sein konnte und keine groben Verletzungen oder schwere Krankheiten hatte.

Ein großes Thema ab ca. 50 ist oft die Sehkraft fürs Kartenlesen. Da hat sich der frühere Nachteil meiner Kurzsichtigkeit in einen kleinen Vorteil gewandelt: ich laufe seit einigen Jahren mit einer schmalen Brille, damit ich in der Ferne scharf sehe und kann beim Laufen „unterhalb durch“ auf die Karte blicken, die ich noch ohne Brille sehr gut lesen kann.  

Und bei einer WMOC immer ganz wichtig: als „66er“ war ich heuer aus dem jüngsten Jahrgang in M55 – der eigene Jahrgang wird mit jeder höheren 5-Jahres-Alters-Kategorie immer wichtiger.

Fitness:
Ich habe über viele, viele Jahre regelmäßig Ausdauer trainiert und durch die aktive Tätigkeit im Verein und mit der Familie den Bezug zu OL nie verloren. Und natürlich sind meine beiden Töchter Anika und Jasmina, die beide OL auf Leistungssportniveau betreiben, eine große Motivation auch für mein Training. Ich habe durch sie in den letzten Jahren mein Training wieder deutlich gesteigert und gezielte OL-Trainings und schnelle Intervall-Einheiten würde ich ohne Anika oder Jasmina wahrscheinlich nicht so oft machen.

Zeit für Training:
Ich habe im Vorjahr bewusst meine Manager-Karriere in der Energiewirtschaft beendet, um noch einmal eine berufliche Neuorientierung zu starten. Durch diese Entscheidung und sicher auch durch die „COVID-Lockdowns“ hatte ich ab Frühjahr 2020 deutlich mehr Zeit für das Training und sportliche Aktivitäten. Ich habe daher meinen Trainingsumfang deutlich gesteigert und habe sogar mehr trainiert als im Winter 1995 vor meiner letzten WM. Da ich damals nie ein „Kilometerfresser“ war und mich neben einem Fulltime-Job qualitativ hochwertig auf die WM vorbereitet habe, ist das aber gar nicht so schwer gewesen.

Ein paar Zahlen zu meinem Trainingsumfang: ich habe in den letzten 25 Jahren im Jahresschnitt regelmäßig ca. 3 Stunden/Woche Sport gemacht (fast nur Laufen), seit Frühjahr 2020 sind es ca. 5-6 Stunden/Woche.

Das ergab früher ca. 30 Leistungskilometer (km und Höhenmeter) pro Woche, heuer waren es ca. 60 Lkm im Jahresschnitt. (das weiß ich so genau, weil ich seit 1984 regelmäßig mein Training aufzeichne)

Zusammenspiel O & L:

Auch wenn ich in meiner OL-Elitezeit nie ein internationales Top10 Ergebnis geschafft habe, ist es mir immer sehr gut gelungen das O-Vermögen mit meinem Lauftempo abzustimmen. Das gelingt mir auch heute meistens noch sehr gut, da das Lauftempo kleiner ist als früher und die gut eingelernte O-Technik nicht so schnell verloren geht.
Für Ungarn hatte ich auch Zeit mich mit den alten Karten zu beschäftigen, in der letzten Woche auch ein paar sehr spezifische OL-Trainings zu machen und mich für die Sprint-OLs auch mit Google-Streetview vorzubereiten – also fast wie unsere Spitzenläufer*innen – aber die hätten auch eine neue OL-Karte für den Sprint gezeichnet…

Ziele und mentale Vorbereitung:
Obwohl man sich eigentlich keine Platzierungsziele setzen soll, habe ich mir im Vorfeld folgende Ziele gesetzt:

  • Normal-Ziel: Ich komme bei allen Läufen unter die Top10
  • Optimal-Ziel: Ich gewinne eine Medaille

Die Ziele habe ich basierend auf meinen Ergebnissen von früheren WMOCs, auf Basis des doch recht kleinen Starterfeldes (wir waren ca. 100 in M55, wo ich auch die Favoriten tlw. kenne) und auf Basis meiner guten Fitness (siehe Erklärung oben) definiert.

Für die einzelnen Läufe habe ich mir dann auch konkrete „Aufgaben-Ziele“ gesetzt, die ich größtenteils umgesetzt habe:

  • Sprint Qualifikation: zügig; immer einen Plan haben, sonst stehen bleiben; 95% reichen; angreifen, aber nicht „zerstören“
  • Sprint-Finale: Full speed von Beginn weg; Tempo und Konzentration bis ins Ziel halten; nicht von Zusehern und Touristen ablenken lassen; Routen soweit möglich durch „ruhigere“ Gassen wählen
  • Wald Quali: ruhiger und sicherer Wettkampf-Modus; fokussiert, auch wenn ich nicht 100% geben muss; im Zweifel die sichere Route nehmen; auf Ablaufpunkte achten
  • Mittel Finale: es muss kein fehlerfreier Lauf sein – da kommt niemand fehlerfrei durch; Richtung im Offenen! Wechsel vom Offenen in den Wald: Tempo reduzieren; es sind nur 30-35 min -> auf einfachen Passagen gut attackieren
  • Lang Finale: Tempowechsel = Angreifen auf Wegen und offenen Wiesen und Tempo zurück im Grünen und Gelb/Grün; sichere Routen und Ablaufpunkte „Full speed no mistake“; Wege und Wiesen am Rücken nützen, aber auch auf direkte Routen achten

Umsetzung und „Glück des Tüchtigen“:
Beim Sprint war ich 5 sec vorne – da gehört immer auch Glück dazu.

Bei der Mittel wurde ich am Weg zu P1 „aus dem Konzept geworfen“, hatte danach keine Fehlerroutine und 3 ½ min gesucht. Ich habe danach voll riskiert, was kein gutes Konzept ist und auch nur 2 Posten sehr gut gegangen ist und danach aber nicht mehr – ein weiterer 4 min-Fehler war die Folge.

Diese Fehler waren für mich aber ein „Weckruf“ und auch ein Vorteil für das Lang-Finale. Durch den 14. Platz startete ich nicht ganz hinten, machte mir selbst dadurch weniger Druck und bei einer Richtungsunsicherheit auf der Route zu P1 bin ich rechtzeitig stehen geblieben, um mich aufzufangen. Dadurch war ich für den Rest des Finallaufs sehr fokussiert unterwegs und motiviert „alles zu geben“.

Mein Resümee nach einer Woche Ungarn:

  • Ziele übererfüllt, auch wenn ich nicht 3 x in den Top 10 war
  • 4 x 1. und 1 x 14. bei 5 Läufen kann sich sehen lassen
  • Für alle Abergläubischen: Freitag, der 13. ist kein Unglücks-, sondern ein Erfolgstag
  • Ich habe mich sehr über die vielen Gratulationen und auch die „gemütliche Siegesfeier“ gefreut und auch darüber, dass Babsi beim Sprint auch Gold gewonnen hat!
  • Meine ersten IOF-Medaillen, die ich bei den Siegerehrungen „Representing Austria“ bekommen habe, machen mich natürlich schon auch stolz.
  • Auch wenn mir viele zum „Senioren-Weltmeister“ gratuliert haben, sehe ich mich noch immer eher als „Gewinner einer Goldmedaille“ bei einer WMOC, oder wenn schon Meister, dann auf Wienerisch als „Senioren-Wödmasta“ – vielleicht weil mir das „Master“ besser gefällt als „Senior“

Anders gesehen: ich war an diesen beiden konkreten Tagen einfach nur der Schnellste der anwesenden 55 bis 60-Jährigen in diesem Gelände und ich weiß, dass es auf anderen Karten ganz anders ausgehen könnte. Ich freue mich schon darauf, wenn ich weiterhin so fit und gesund gemeinsam mit vielen anderen lieben OL-Bekannten an internationalen OL-Wettkämpfen teilnehmen kann.

Fotos – inkl. Bahnen und Fehlerbeispiele